Jean Toche, 1932 in Belgien geboren, begann als Jazzmusiker und abstrakt-expressionistischer Maler. 1966 nahm er teil am „Destruction in Art Symposium“ Gustav Metzgers in London und schuf später aggressive Lichtinstallationen. In NYC 1969–1976 schuf er mit Jon Hendricks und Poppy Johnson als „Guerilla Art Action Group“ radikal-politische Aktionskunst. Toche lehnte Kompromisse ab und verweigerte sich dem kommerziellen Kunstbetrieb. Bis er 2014 künstlerisch verstummte, übte er mit MailArt und fotogenerierten Tableaus heftige Kritik an der US-Kriegspolitik, an Religionen und Unterdrückung, an Rassismus, Misogynie und Sexismus. Am 9. Juli 2018 wurde er in seinem Haus auf Staten Island tot aufgefunden. ►https://bit.ly/2mfGNvT
Wirf noch eine Münze ein!

»Ohne taktische Diplomatie, in Agitprop-Manier einzig seinen Überzeugungen verpflichtet«
Selbstportait von Jean Toche | Foto: Jean Toche
Jean Toche ist tot – er sah Kunst als Akt der Wahrhaftigkeit und Demonstration seiner Überzeugungen | Von Matthias Reichelt | publiziert in: junge Welt, Berlin, vom 17.07.2018, Seite 10 / Feuilleton:
Jean Toche war ein radikaler Künstler, wie es sie nur selten gibt: Begriffe wie opportun, angemessen und ausgewogen wird man in seinem Wortschatz vergeblich suchen. 1932 wurde er in Belgien geboren, war anfangs Jazzmusiker und abstrakter Maler. Er freundete sich mit den politischen Künstlern Marcel Broodthaers und Al Hansen an und nahm 1966 am »Destruction in Art Symposium« von Gustav Metzger in London teil.
Die Liebe zu der US-amerikanischen Ballettänzerin Virginia Poe ließ Toche nach New York City ziehen. Er konzipierte dort aggressive Licht- und Toninstallationen und thematisierte mit ihnen unter anderem die rassistische Polizeigewalt bei den Watts-Aufständen 1965 und die studentischen Proteste gegen den Vietnamkrieg an der Columbia-Universität 1968.
1969 gründete er zusammen mit Jon Hendricks und Poppy Johnson die »Guerrilla Art Action Group« (GAAG), die bis 1976 politische Konzept- und Aktionskunst auch im öffentlichen Raum machte. Am 18. November 1969 zog die Gruppe in der Lobby des Museums of Modern Art eine blutige Aktion durch. Um gegen die Kriegsprofiteure aus dem Rockefeller-Clan im Beirat des Museums zu protestieren, stritten und kämpften sie miteinander und vergossen dabei acht Liter Rinderblut.
Mehrfach geriet Toche in Konflikt mit der US-Justiz. 1970 wurde er mit Jon Hendricks und der afroamerikanischen Künstlerin Faith Ringgold wegen »Flaggenentweihung« bei der American Flag Show in der Judson Memorial Church verhaftet. Für die Freilassung der »Judson Three« setzten sich damals auch Yoko Ono und John Lennon ein.
Von 2000 bis 2014 produzierte Jean Toche »Mail Art«, also Briefkunst, und versandte Stellungnahmen und Kommentare zu politischen Fragen, ohne taktische Diplomatie, in Agitpropmanier einzig seinen Überzeugungen verpflichtet. Motivisch untermauerte er dies mit Bildern aus seiner unmittelbaren Umgebung. Am häufigsten stand er mit seinem Konterfei und mit seinem ganzen Körper ein. So ehrlich und schamlos die Bilder, so schamlos ehrlich waren die Texte. Ausstellungen mit großen Tableaus waren mehrfach an verschiedenen Orten in Deutschland zu sehen. Sie wurden mit seiner Mail Art in das Archiv der Akademie der Künste in Berlin aufgenommen.
Toche posierte gerne, wie seine zahlreichen Selbstporträts zeigen, er verkleidete sich und grimassierte, zeigte sich auch nackt, um die Kritik mit Ironie und Sarkasmus zu untermauern. Auch seinen Anrufbeantworter nutzte er immer wieder als Medium für Botschaften wie diese vom November 2008: »Your capitalist system is bankrupt. Kaputt! Hey, just put another dime in it«, zu deutsch: Dein kapitalistisches System ist bankrott. Kaputt! Hey, wirf einfach noch eine Münze ein.
Mit seinem Mac, einer digitalen Kamera und einem großen Plotter, auch Kurvenschreiber genannt, war Toche ein autarker Produzent seiner Kunst. Sie zu machen bedeutete für ihn nicht, sie zu verkaufen. Kunst war für ihn ein Akt der Wahrhaftigkeit, Demonstration seiner Überzeugung, die nicht durch Kommerzialisierung verraten werden durfte. Vom Kunstbetrieb, den er weitgehend und nicht ganz zu Unrecht für opportunistisch hielt, distanzierte er sich soweit wie möglich. Die Funktion des Kunstraums bestand für Toche nur darin, seine Positionen öffentlich zu machen, weiter gingen seine Kompromisse nicht. Man konnte keine Arbeit von ihm erwerben oder ihn für eine neue Auflage eines bereits existierenden Werkes gewinnen. Dieses Verhalten ist Gift für einen Markt, der von Kauf und Verkauf, von Preissteigerung und Profitmaximierung lebt. Nichts lag Jean Toche ferner, als auf dem Kunstmarkt zu reüssieren. Auf den Rückseiten seiner Arbeiten forderte er zu ihrer Vervielfältigung auf.
Ob es die von den US-Regierungen begonnenen Kriege in Afghanistan und im Irak waren, das Morden durch Drohnen, Klitorisbeschneidung in afrikanischen Staaten, Kritik an Religionen, Misogynie, Xenophobie: Für Toche gab es keine thematischen Beschränkungen.
Am 9. Juli wurde Jean Toche, wenige Wochen vor seinem 86. Geburtstag, tot in seinem Haus auf Staten Island (NY) aufgefunden.
Quelle: ►https://www.jungewelt.de/artikel/336125.wirf-noch-eine-m