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Harriet Wood aka Suzanne Long | NO!art involvement INDEX
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Memo
Malerei
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NO!art ist
die strategische
Kreuzung,
auf der sich
künstlerische
Produktion und
gesellschaftlich
kulturelle Aktionen
begegnen.

Stuetzpunkt
Foundation

NO!manipulation

THE BEAT GOES ON!
in: NO!, Kalaog, Berlin 1995

Wenn ich dieser Tage mit Boris am Telefon spreche und er „Soo-San“ sagt in seinem warmen sonoren Ton, erinnere ich mich schlagartig meiner starken Verstrickung in die NO!art-Gruppe vor 35 Jahren. Ich war 23 Jahre alt, hatte eine kleine Tochter, arbeitete als Sekretärin und ging abends zum Pratt Institute und zur Art Students League. Sam Goodman traf ich in der Cedar Bar, er wurde mein Lover und Mentor für die nächsten drei Jahre. Er war ein puristischer Abstrakter Expressionist und kannte jeden in der Kunstwelt. Er genoß ein hohes Ansehen unter den Malern. Ich war das grüne Mädchen. Er pries meine Natürlichkeit und sagte mir, daß ich mein Leben meiner Kunst widmen solle. Er lehrte mich alles, was er über Malerei wußte. Wir saßen in prallgepolsterten Sesseln in seiner Wohnung mit hintereinanderliegenden Durchgangszimmern an der Perry Street, schlürften bis spät in die Nacht Brandy und brüteten über Kunstbüchern. Sam studierte die japanische Kunst und war besonders von den Drucken begeistert, die für die breite Bevölkerung bestimmt waren. In seinem eigenen Leben kämpfte er wie ein Samurai für die Wahrheit. Sein Vater, so erzählte er mir, hatte in einer Fabrik in Toronto gearbeitet und war das Opfer von Antisemitismus geworden; ein Mitarbeiter hatte ihm ein Stück Eisen auf den Kopf fallen lassen. In seinem Dienst beim Canadian Film Board während des Zweiten Weltkrieges wurde er aufmerksam auf Fotos, die die Barbarei gegen die Juden im Holocaust zeigten. Wenn Sam Geld brauchte, arbeitete er als Karikaturist auf den Straßen, während ich Modell stand, um die Leute anzuheizen.

Obwohl unser Hintergrund sehr unterschiedlich war, weiß ich heute, warum wir uns soviel bedeuteten. Ich war in den fünfziger Jahren aufgewachsen in einem Haus, erbaut von Vorfahren auf dem Land, das ihnen nach dem Revolutionskrieg zugeteilt worden war. Beide Seiten meiner Familie stammten aus England und erreichten im 16. Jahrhundert diese Küste. Die Stadt im Norden des Staates New York war konservativ, Nachrichten wurden beschönigt. Meine Eltern vernichteten fast das ganze Familienvermögen mit ihrem Scheidungsprozeß, den Rest vertranken sie. In der Familie herrschten Fehden und RivaliTäten zwischen Halbgeschwistern in völlig chaotische Zuständen. Meine Mutter nannte dies vornehme Armut, dabei waren wir die Armen. Dauernd hatten wir Schulden bei der früheren Haushälterin meiner Mutter, die mittlerweile einen Lebensmittelladen führte. Kein Wunder, daß ich mich leicht mit der heruntergekommenen Aristokratie der russischen Romane identifizierte, die mir mein gebildeter Vater zu lesen empfahl. Ich hatte große Vorstellungen von der slawischen Melancholie, die ich für sehr kreativ hielt. Als ich Boris traf, meinte ich, ihn schon seit langem zu kennen. Meine Mutter besaß künstlerische Talente, blieb jedoch Dilettantin. Alle Männer der Familie waren im Krieg gewesen. Als ich 13 war, betete ich jede Nacht, daß mein Lieblingsbruder unversehrt aus dem Koreakrieg heimkehren möge. Ich schwor mir, falls ich eines Tages Söhne hÄtte, sollten sie kreativ sein und nicht an ZerstÖrung arbeiten. Diese Sorgen sowie der Verfall meiner Familie machten mich für die Angst und die Ziele der NO!art-Bewegung empfänglich.

Als ich Sam traf, war ich beeinflußt von den deutschen Expressionisten, besonders von KÄthe Kollwitz. Ich kannte keine anderen Künstlerinnen; die einzigen, von denen ich gehört hatte, lebten im Schatten ihrer viel bekannteren Männer. Es gab keinen Sexismus unter Künstlern; wir waren alle Außenseiter und die Kreativität war unser gemeinsamer Besitz. Der Sexismus entstammt der Kultur. Obgleich die NO!art-Gruppe von Männern begründet worden war, ermutigte NO!art doch die Frauen zur Teilnahme. Die Künstler in der March Gallery stellten nämlich das dar, was sie im gegenwärtigen Kulturleben wahrnahmen, nämlich die brutale Gleichstellung von Sexualität, Geld und Gewalt. Und das gibt es heute noch.

Kurz nachdem Sam und ich uns kennengelernt hatten, ging es mit NO!art erst richtig los. Stanley Fisher war dabei; er erinnerte mich immer an Rabelais, verzweifelt mit unruhigem Blick. Er hatte Familie: eine sehr attraktive Frau und zwei hübsche kleine Töchter. Sam und Boris waren besessen, leidenschaftlich und unermüdlich. Ich sehe eine Situation vor mir, wie Sam die 10. Straße herunterläuft mit blauer Baskenmütze und Hornbrille, umhergrinsend mit seiner Zigarre, die großen Tweed-Manteltaschen voller SÜßigkeiten. Meine Tochter Betsy rennt ihm entgegen, und er hebt sie hoch. Wir versuchten oft, von der March-Galerie aus Spaziergänge zu unternehmen, kamen jedoch nie weit, weil Sam immer irgend etwas fand und es gleich zur Galerie zurückbringen mußte, um es dort für eine Assemblage zu verwenden; er war einfach besessen! Ich erinnere mich, wie er ein verschnürtes Bündel mitten auf einem leeren Grundstück fand und es ganz aufgeregt in die Galerie trug, wo es den Titel Abortion erhielt. Meines Wissens nach wurde es nie geöffnet.

Wir waren arm, aber die Konsumgesellschaft bot uns kostenloses Arbeitsmaterial in Form ihres Abfalls. Ich fand eine ganze Rolle erstklassigen Zeichenpapiers, um eine Serie von Tuschezeichnungen anfertigen zu können. Die Form der Pisslache eines Ausgeflippten auf der Straße inspirierte mich zu Malereien. Ich malte Frauen, die ausgelassen alleine den Tanz des Lebens tanzten, indem sie Bomben zu Ejakulationen brachten. Unsere Kunst war leidenschaftlich und im wahrsten Sinne rebellisch aus unserem Innersten heraus. Sie rief unmittelbare emotionale Reaktionen hervor und sollte die Öffentlichkeit schockieren und sie aus ihrer Lethargie und Reserviertheit reißen.

Zu jener Zeit hatte ich vorübergehend einen Job beim Museum of Modern Art, wo ich Lucy Lippard traf. Sie war nicht an Politik interessiert, geschweige denn eine Befürworterin sozial bewußter Kunst. Ich besuchte sie in der Bowery, wo sie mit dem Maler Robert Ryman zusammenlebte, und nahm sie auch mit in die March Gallery. Eines Tages, im Fahrstuhl des Museum of Modern Art, hörte ich mit, wie William Seitz, der damalige Kurator für moderne Malerei, beim überfliegen einer Liste mit Vorschlägen für ein Ausstellungsprogramm äußerte: „Nicht Lurie und Goodman - auf keinen Fall!“ Kunstgeschichte wurde von ihm gemacht. NO!art wurde in den Abgrund fallengelassen,   der sich auftat zwischen leidenschaftlichem Abstrakten Expressionismus und der gefriergetrockneten Pop-art. Damit war das Urteil gesprochen.

Sams und meine Wege trennten sich in jener aufregenden Zeit. Ich ging zusammen mit einem Lyriker nach Mexiko. Danach für eine Sommerliebe nach San Francisco und anschließend nach Seattle. Als ich Sams Stimme das letzte Mal hörte, stand ich, nachdem ich die eiserne Treppe hinuntergestiegen war, vor einer Bar in einem Backsteingebäude an einem öffentlichen Münzfernsprecher und überblickte den Puget Sund. Ich rief Sam im Krankenhaus an, wo er mit Kehlkopfkrebs im Sterben lag. Er krächzte ins Telefon: „Wo bist Du? Komm zurück.“

The Beat goes on. Am Abend des Tages, an dem ich diese Erinnerung niederzuschreiben begann, ging ich zur hiesigen Universität, um das Werk einer Künstlerin zu sehen, das diese einer Gruppe von Kunststudenten präsentierte. Sie zeigte diesen Studenten, die erst nach 1964, also nach der Shit-Show von Sam und Boris zur Welt gekommen waren, eine Serie von zehn Jahre alten  Shit-Skulpturen. für mich waren es offensichtliche Plagiate. Und die Künstlerin war alles, was Sam verabscheut hatte: völlig ohne politisches Engagement, unverbindlich verschwommen, trendy und esoterisch. Sie nannte kein Motiv für die Herstellung dieser Skulpturen und verhielt sich in der anschließenden Diskussion arrogant, indem sie keinerlei Aussage über die Bedeutung der Skulpturen machen wollte. Ich kam mir vor wie ein Geist in diesem Raum und mit meiner ganzen Geschichte lebendig begraben.

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About ME: I had been a political protest (anti-war) artist and expressionist figure painter until around fifteen years ago when I turned to abstract expressionism. Even though it's no longer like jumping into the abyss like it was in the fifties, I find it still a relevant genre, drawing me in with more and more complexities, distillations and challenges.
It has offered me the physicality and emotional connection with my work that I needed and along with formal considerations has proved to be a psychically integrative process. My communication with the painting continues until it leaves my studio. For me, there is a connection between writing poetry and painting out of my unconscious, in the sense that both are grabbing the moment and distilling the emotions.
The immediacy of the work and approaching the unknown each time I paint makes it virtually impossible to copy a painting. It is practice, giving myself completely to the moment in the least self-conscious way possible. This way of working has been noted by Zen masters who consider it a form of practice/meditation.

Source:  http://vtartnet.com/Harrietwoodpage.htm

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