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GRABSCHRIFT
für einen kanadischen Saujuden (1919-67)
oder ein Teil der Sam Goodman-Story
Von Seymour Krim (1971)
in: Lurie, B; Krim, S.; NO!art, Köln 1988

Mir ist eigentlich noch nicht ganz klar, ob das, was ich von Sam Goodman berichte, "wahr" ist, oder ob es meiner ängstlichen Einbildung entsprungen ist.

ja, Sani, ich versuche, hier jetzt mit Dir endlich ins Reine zu kommen, Du Ayatollah, Du Schwanz als dauernder Krampf im Arsch der Welt!

Wie viel von dem folgenden also wirklich "wahr" ist, weiß ich letztendlich nicht. Aber falls es einen Gott gibt, der was wissen will über Sam auf Erden oder über Sam im Betondschungel, würde ich ihm das gleiche erzählen, was ich euch erzähle und was ich selbst herausgefunden habe. Ich kannte Sam nämlich nur in NY. Hat nicht der smarte alte Schwulenficker Andre Gide gesagt, dass wir nur Sachen niederschreiben, um sie für uns selbst zu definieren? Klar! Aber das hat auch noch ein halbes Dutzend anderer gesagt, deren Namen mir in diesem düsteren Augenblick nicht einfallen. Ja, sie hatten olle recht! Bis jetzt hatte ich Sam tief in meinem Kopf vergraben. Ich hatte Angst, mich auf diese Leiche einzulassen. Dabei hatte Ich hauptsächlich Angst vor dem, was ich bei der Beschäftigung mit Sam über mich selbst erfahren würde. Vielleicht steckte das gleiche in mir wie in Sam. Doch jetzt ist Schluss damit, Schluss mit der Schamhaftigkeit: Lasst mich aussprechen, was ausgesprochen werden muss, egal, wie 's wird und wie 's kommt, das habe ich mir endlich vorgenommen, allein, hier und heute Nacht in diesem leeren Madrider Appartement, weit weg von den Ursprüngen, weit weg von zu Hause, weit weg von New York und Amerika, und ganz allein mit dem spöttisch grinsenden Gespenst Goodman. Ich spüre geradezu, wie er sich über mich lustig macht, während ich hier sitze und schreibe, und ich spüre, wie er nach Publicity fieberhaft giert: "Du weißt doch, verdammt noch mal, dass ich einen Anspruch darauf habe, Krim! Nun sag schon, wo das veröffentlicht wird? Wann? Hast Du Fotos? Da gibt 's ein gutes Foto von mir..."

Ein gutes von Dir? Wenn Du mich zum Lachen bringen willst, fange ich wirklich gleich an zu kotzen. Lass mich das mal so machen, wie ich 's will, Du Klugscheißer, Du Schmarotzer, Du Fimmel, Du Mister Ekelhaft, sonst erzähle ich überhaupt nichts ... Jedoch, ich habe mich jetzt dazu entschieden, und da hast Du wieder mal gewonnen, Du billiger SchnelIwichser! Nein, Du warst mehr als das, warst weniger auf schnellen Nutzen aus.

Ich erzähle weiter, da gibt es keinen Halt: Allerdings kann ich nur das skizzieren, was ich sah und was ich fühlte. Ich riskiere es, weiter zu erzählen. natürlich überkamen mich schon spontane und unerwartete Gefühle, und zwar Dutzenderweise, wenn ich mit Sam zusammenkam. Ich war dann immer völlig hin- und hergerissen, litt quasi unter körperlichen Schmerzen. Tja, es war so eines Abends, Ende 1963 oder 64, da stellte mir Boris Sam in seinem Atelier vor und wir drei gingen zusammen aus, um was zu essen, soweit ich mich erinnere, oder vielleicht nur um etwas zu trinken - ein oder zwei Scotch - in Boris' weißgetünchter Mini-Polizeifestung drüben auf der sechsten Straße East. Von Sam als Person war ich nicht gerade beeindruckt, gelinde ausgedrückt, fand ich ihn fad wie Ovomaltine, obwohl mir seine genialen, treffsicheren und handwerklich ausgezeichneten scheußlichen Arbeiten in der Vulgär- und Doom-Ausstellung in der March-Galerie in der zehnten Straße East Anfang der 60er Jahre gut gefallen hatten. für mich haben diese seine Arbeiten genau gestimmt, diese modellierten Verzerrungen, diese grellen Monstrositäten, die das ganze "Plastik"-Amerika verspotteten - heute haben schon die Kids diese Plastik-Kultur erkannt -. Ja, das war eine Fatal-Morgana einer zunehmend technologisierten Umwelt, die uns bereits als Nummern in ihrem rostfreien Stahlgehirn führt.

Das war sein Werk, seine Arbeit, zumindestens ein Teil davon. Ich war jedes Mal fasziniert von Sams schrecklichen Arbeiten und seiner schrecklichen Sehweise. Nur Übelste künstlerische Ausdrucksweisen hatte er perfekt drauf. Doch Sam als Mensch, ach du lieber Himmel, ein Mensch? Da war er was ganz anderes, oder nicht? Eigentlich bin ich genauso ungerecht wie ihr, meine scheinheiligen Leser, und ebenso wie neun Zehntel der Menschheit auch. Sitzen wir nicht alle in einem Boot? Im nachhinein fällt mir zuerst auf, dass Sam eine Ausgeburt von Hitlers Karikatur eines schleimigen Juden war. - War ihm das bewusst, dieses Karikatur-Sein? Hatte er deshalb in dieser Eigenschaft seinen Lebensunterhalt in zweitklassigen Nachtklubs in Buffalo und Miami verdient, ehe er ins Village kam? - Doch halt, ehe ich auf das weiter eingehe - und das muss ich machen -, darf man nicht vergessen, was ich zu Anfang gesagt habe, nämlich, wie viel gibt man von sich selbst preis, wenn man über andere spricht oder schreibt, wie weit überträgt man die Schrecklichkeit seiner eigenen Existenz auf andere Menschen, wie oft befleckt man andere mit seinem eigenen klebrigen dreckigen Schweiß? Nur ein Beispiel: Es macht ja nichts, was ich jetzt und heute bin, jedoch damals war ich von meiner eigenen Vergangenheit überrollt worden, der unangenehmen, unappetitlichen Vergangenheit. Sind nicht selbst für den allergewöhnlichsten Menschen die Anstrengungen im Leben übermenschlich? Meine Statusrichtung war damals die des schnell angepassten amerikanischen kleinbürgerlichen Judens, und zwar die: Nichts wie raus aus dem Image! Meine erste Frau vertrat die WASP-Richtung (White-Anglo-Saxon-Protestant). Ich hatte nie die Barmitzvahed (= Konfirmation) erhalten! Ich hatte meine Geiernase kosmetisch korrigieren lassen! Ich hatte mich integrieren wollen. Ich wollte mich tierisch anpassen und hoffte, dass dieses elende Juden-Stigma der Alten Welt sich in unauffindbaren Relikten auflösen würde. Wahrscheinlich vereinfache ich hier zu sehr (Anmerkung des Übersetzers: Krim befindet sich hier in einem leeren Apartment in Madrid, und was wiegt da mehr, Menschlichkeit oder Nationalität?) und bringe die Angelegenheit auf einen zu einfachen Nenner. Im Grunde genommen war es so, daß ich mich damit abfand, "Jude zu sein" . Sah aber nicht mehr aus wie einer! Trotzdem handelte ich damals wie einer, erfüllte alle von Hitler geprägten Vorurteile (allerdings in künstlerischer Manier!), war in den dreißiger Jahren in meiner Jünglingshaftigkeit wie hypnotisiert von meinem Abbild im Spiegel, doch hatte ich mir geschworen, dem immer wieder zu entfliehen, und zwar entschieden für den Rest meines Lebens.

Und dann kam dieser Sammle Goodman, der mich auf meinen eigenen Verfolgungswahn zurückbrachte, der mit seinem Sosein meine eigene Nase plÄttete. Warum war er nur geboren worden? Warum musste er ausgerechnet in mein so wohlgeordnetes Leben eindringen? Gab es nicht andere gottverdammte Örtlichkeiten zum Geboren-Werden?

Sam sprach und sah aus wie der " AIlerwelts-Saujude". Da gibt 's nichts dran zu kritteln. Klein, mit Spitzbauch und Hakennase. Vielleicht schielte er auch ein bisschen. Ne Halbglatze hatte er. Sein Anblick tat mir in den Augen weh. Es tut mir leid, das sagen zu müssen. Auch in den Ohren tat es mir weh. Er war grobschlächtig, weinerlich, rechthaberisch und mäkelte an allem rum. Er kriegte immer einen irren Ständer, wenn er nur einen Arsch die Straße runterschaukeln sah. Schon wenn er davon sprach, leckte er sein grinsendes Judenmaul wie der letzte Schmierenkomödiant. Ich schämte mich, mit ihm gesehen zu werden. Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken. Dabei war ich damals immerhin ein Mann(?) von über vierzig, als Boris uns bekannt machte. Zweifellos sagt das mehr über mich aus als über Sam. Vielleicht verurteilt ihr mich auch schon als einen gelben US-Jiddeldiddel, der nicht den Mut hat, sich selbst zu akzeptieren. ("Dein Herz ist zur Möse geworden," beschimpfte mich mal ein ehemaliger Freund, und vielleicht sind alle solche Vorwürfe berechtigt?) Aber um offen über Sam schreiben zu können, muss ich erst mal von meinem eigenen Scheißhausdeckel runterkommen. Und so hat es sich auch bestimmt alles ereignet, wie ich es euch erzählen werde. Sam und Boris bereiteten zu der Zeit unseres mürrischen Kennenlernens gerade die berühmte Shit-Show in der Gertrude Stein Galerie in der 81. Straße vor. Offiziell, glaube ich, hieß die Ausstellung nämlich "NO!Sculpture Show". Ich fuhr drei oder vier Tage in der Woche nach meiner Arbeit beim Nugget-Magazin in die abgelegene Galerie, sozusagen als literarischer Beistand für Sams und Boris' Bemühungen und Anstrengungen. (Nach dem Abendessen und den anschließenden Diskussionen, oder vielmehr nach meiner Selbstverteidigung gegenüber Goodmans bewussten oder unbewussten Ausfällen raste ich ins Nugget zurück und ließ bis tief in die Nacht meinen Frust auf ungefähr dreißig oder mehr Manuskriptseiten ab.)

Boris Lurie brauchte zu dieser Zeit "psychologische Unterstützung". Und die gab ich ihm, so meine ich, mit meinem literarischen Beistands-Business. Er war der Organisator und Down-Town-Trotzkist seiner Bewegung. (Er, Goodman und Stanley Fisher als harter Kern.) Er brauchte Hilfe, und zwar sofort. Boris bewegte sich auf einem wackligen Gerüst, 17 Stockwerke hoch über der Straße, und das noch im Modeviertel. Auf Mode fuhr er mehr ab, als es angebliche Trend-Kenner überhaupt mitkriegten. Diese Goodman-Lurie-Show war das Endprodukt spöttischen Zorns. Boris arbeitete schwer, wie immer. Er kalkulierte, regte sich auf und rieb sich fast auf.

Ich wurde von beiden genervt wegen Pressemitteilungen, wegen Publikationen, wegen Formulierungen, wegen Kritikern. Ich sollte Leute wie Tom Wolfe und Brian O'Doherty anmachen, möglichst für die Vernissage. Und sie sollten sofort darüber Superartikel schreiben. (Mir ist jetzt noch zum Kotzen, wenn ich daran denke, wie hündisch Goodman nach sofortiger Publizität geiferte. Jetzt auch sofort, gleich, Sam, ja?) Und eines abends erlebte ich mit, wie kurz vor der Ausstellungseröffnung der Vorhang von einer Skulptur hochgezogen wurde und dann dieses rotgeäderte Stück zum Vorschein kam, das aussah wie der letzte Menschenschleimschiss dieser Welt. Ich fühlte mich wie an die Wand genagelt. Das war das Höchste (oder Tiefste, je nach Standpunkt) in Sams Stil. Ich sagte ihm, dass ich vollkommen darauf abfuhr.

Er horte sich mein Lob und meine Begeisterung mit geschlossenen Augen an und grinste dabei. Er war schüchtern und arrogant zugleich. Seine Geste sagte es mir deutlicher als seine Worte: "Danke, Krim, ich verdien es. Du weißt es. All diese Bastarde, diese sogenannten Kritiker, Künstler (haha) und Schmarotzer sind nicht meine Kragenweite. Das hob ich schon immer gewusst. Schönen Dank also Alter, dass du es aussprichst. Aber glaube ja nicht, dass ich dir dafür in den Arsch krieche. Es ist nämlich alles korrekt." Seine arrogante Kühle machte mich rasend. Er beleidigte meine Ehrlichkeit, meinen guten Willen und sogar meine Selbstlosigkeit. Hatte ich nicht bessere Kontakte zu Manhattans Elite-Intellektuellen-Szene als dieser armselige kanadische Schmalspurjude, der die USA immer auf die mieseste Art runtermachte, der schamlos geil war auf die Leckereien, der in die Hand biss, die ihn fütterte und dann noch über sie schiss? Oh, Liebling, fick Dich Sam Goodman, fick Dich richtig, war meine Meinung. Und das dachte ich nicht zum letzten Mal. Er ging mir auf die Nerven, dieser fisch-bauchige Jammerlappen. - Eure verfluchte Utopie! Es lohnt sich nicht mal, sie zu bombardieren, weil ihr gar nicht richtig sündigen könnt." - Ich habe es satt, euch Komplimente zu machen, damit es mir besser geht. Ja, Goodman, Du nähmest und wolltest nichts geben, Du Schwanz, Du runtergekommener Depp. Am liebsten hätte ich ihm seine gelben Zähne in die Fresse geschlagen. Wirklich. Doch, obwohl ich stärker war oder jedenfalls größer - das Vieh war kräftig gebaut - hielt mich irgendetwas davor zurück. Nicht, dass er zurückschlagen könnte. Nein. Es lag etwas Heimtückisches und Übles in seiner zur Schau getragenen Macht. Ich gönnte ihm einfach nicht, dass er mich auslachen könnte. Ich verkniff mir meinen Stolz und meine Empörung über dieses kleinliche lausige Überlegenheitsspiel und ging sogar mit beiden zum Essen zu Child oder Schrafft, glaube ich, irgendwo auf der Madison in der Nähe von Gertrude Steins Galerie - und Boris hatte jetzt seine Augen von mir abgewendet.

Goodman war komisch und pedantisch, was Essen betraf. Er war eher einer, der hin und wieder knabberte, wohingegen ich ordentlich zulangte, schließlich war das abends meine Hauptmahlzeit, während sie dabei nur Schmus redeten. Sie aßen nämlich zu ganz verrückten Zeiten. Nach einem Drink rangen sie mir sogar manchmal ein mühsames Schmunzeln ab, besonders wenn sie sich lustig machten über die Machtgelüste der Abstrakten Expressionisten, die doch nur naive Cowboys imitierten. Goodman war verdammt smart. Er griff mich mit seiner Liebenswürdigkeit an. Ich bewunderte seinen Scharfsinn. Dauernd schmiedete er Pläne. Er wollte, dass man ihn bewunderte, und auch ich sollte das zu erkennen geben. Manchmal Öffnete sich irgendein schrecklicher Spalt in seiner verzerrten Maschinerie und eine "Blume" steckte vorsichtig den Kopf heraus. Jedoch konnte ich nie länger als eine Minute mit ihm warm werden. Das war allerdings selten bei mir, denn die Mehrzahl meiner Freunde sind Männer, vielleicht eine Sublimation meiner unbewussten Homosexualität. Ein amerikanischer Autor sagte mir das einmal hier in Spanien, dass das ganz offensichtlich wird bei mir, wenn ich betrunken bin. Oder vielleicht kommt das daher, dass ich als Junge keine Familie kannte und mich nach Brüdern gleichen Alters sehnte und nicht nach solch uralten, die mir das Leben geschenkt hatten. Jedenfalls machte mir Goodman sogar Anträge, trotz seines rotzigen Benehmens. Er rief mich eines Nachmittags an und lud mich in die Champagner Galerie in der Village ein. Ich sollte zur Vernissage der "American Death Show" (was sonst) kommen. natürlich ging ich nicht hin. "Komm rüber, oder bist Du kein Schriftsteller?" horte ich ihn in meinem Innern rufen. Aber ich war beleidigt und hatte es satt, herumkommandiert zu werden. Und dann noch von diesen Opportunisten. Soll mich doch der Verein jüdischer Wählerinnen vor Gericht zerren. Er will sich bei mir einschmeicheln und kümmert sich dabei nicht im geringsten um die Menschlichkeit. "Zisch ab, ruf mich nicht an, Du kleiner Scheißer, Du Versager. Besorg Dir eine Melone zum Ficken und mach ein Leihhaus auf, da gehörst Du hin!" Du Verlorener. Nannte ich mich nicht auch selbst so? Und jetzt nenne ich Sam einen Verlorenen. Ein Verlierer. Er war unheimlich stolz ohne ersichtlichen Grund, gehandicapt noch und noch und verpestete die Luft um sich herum mit ständigen Eifersüchteleien. Als er im Mai 1967 unter Schmerzen im langsamen körperlichen Zerfall starb, quälten mich Schuldgefühle, weil ich ihn nicht besucht hatte, als er hilflos im Krankenhaus lag. Dann wurden diese meine Gefühle überdeckt von den Täglichen Sorgen des Überlebens. Ich glaub, es stand noch nicht einmal ein einziger Absatz bei den Nachrufen in der TIMES. Er hatte so etwas von einem Versager an sich: schon allein alle diese lächerlich grotesken kleinen Unternehmungen im Village. Ein Laden gehörte sogar zur Hälfte ihm. Es hieß "Karikatur" und war in der MC Dougal Street. Er führte es mit einer mysteriösen "Frau" . Wir haben sie nie gesehen, und er war auch nicht mit ihr verheiratet, wie ich später herausfand. Dort trat er auf wie ein Prophet als Pausenclown. Er erinnerte mich an Harvey Matusow, den Clown der Avantgarde, der jetzt zum ersten Mal Erfolg in London hat. Dort lässt er die Sau raus, allerdings zum ersten Mal auf eine gesunde Art. Zur McCarthy Zeit hatte er im Knast gesessen, kam dann aber wieder raus. Damals, Mitte der 60er Jahre, organisierte er umsonst komödienartige 10-Minuten-Stegreifsketche, nur für Lacher, sehr amateurhaft. So z.B. drängelte er sich in der Champagner Galerie vor, nicht um Geld zu machen, sondern bestenfalls um die Lacher auf seiner Seite zu haben. Gelegentlich trug er auch seine Sketche auf der Straße den Passanten vor. Er lud mich immer ein, mir das anzusehen, wenn er mit seinem zweifelhaften Zeug herumprotzte. Ich bin aber nie hingegangen zu ihm.

Es war wohl so eine Art J .-D.-Salinger-Manhattan-Snobismus, eine Reaktion auf die seichte Erbärmlichkeit, eine Reaktion auf diesen armseligen Blechtrompeten-Egoismus: TäTärä, TäTäTä, da bin ICH! Und ich spürte, dass da im Grunde genommen irgendetwas nicht stimmte. Es lag daran, dass Goodman ausgezeichnete Kunstwerke machen konnte, die Dolchen glichen und so tief schnitten, dass das Blut spritzte. Hatte er es nötig, sich im verlogensten Teil der Square Trap, der McDougal Street, zum Verkauf anpreisen zu müssen? Ohne Würde und ohne sichtbare Schmach? Dort, wo viertklassiger Zirkus-Exhibitionismus sich zur Schau stellte, wie z.B. Schlitzaugen, die für einen Vierteldollar den Hühnern die Köpfe abbissen.

Als Boris mir später erzählte, dass Goodman der Sohn eines polnisch-jüdischen Schrotthändlers war, der mit seiner fleckigen Weste von drüben rübergekommen war und sich in Toronto niedergelassen hatte, der um jeden Cent feilschte, sogar um ein mieses Stück Blech, an dem noch vertrocknete Scheiße und Schleim klebte, als ich das erfuhr, da war mir alles klar, aber wie. Als ich dann später horte, dass Goodman Anfang der 60er Jahre - als ich ihn noch nicht kannte - "an keinem Mülleimer auf der Straße vorbeigehen konnte", "als Künstler von Abfall besessen war" und "sogar anfing, sich mit Müll zu kleiden" (das stammt alles von einem Spitzel), passte das überhaupt nicht zu meinem Bild von ihm. Das war etwas ganz anderes, oder nicht? Der Dämon Goodman baggerte die Scheiße aus seiner eigenen Vergangenheit hervor. Diese verächtliche Phantasie in diesem Mann, die ihn dazu brachte, in das Klosett seiner Vergangenheit zu greifen, auf dass er mit dampfender Scheiße aus seinem ordinären Leben an seinen knorrigen Händen daherkäme. Er hat mich ausgetrickst. Habt ihr 's bemerkt? Sogar als Toter, obwohl er für mich und manch anderen, der ihn ausholten musste, noch nicht ganz so tot ist, trickst er immer noch weiter, oder nicht?

Ich erinnere mich noch genau an die Drinks und Sandwichs, an denen die beiden knabberten, und an mein Abendessen bei Schraffts. Boris und Goodman bauten gerade die Shit-Show auf. Ich erinnere mich noch genau an Goodmans Paranoia wegen des Kellners mit deutschen Akzent dort. Eines abends auf dem Wege ins Restaurant - Sam litt schon wieder unter seiner Kellner-Paranoia, was wollte dieser Bastard von uns? - kamen wir an so einer feinen Chiselhurst Privatschule vorbei. In einer der oberen 70er Straßen. Da geben sie den jungen Mösen den richtigen gesellschaftlichen Schliff. Ich erinnere mich. In mir stieg ein Gefühl zum Kotzen auf, als Sam da anfing, die jungen Dinger mit seinem Mundwerk zu vögeln, zu den Fenstern raufgierte und auf die Straße sabberte. Dann die Geschichte, wie er eine von dieser Schule angemacht hatte. Die ist sogar in Gertrude Steins Galerie gekommen. Und wie sie ihm den Schwanz aus der Hose gerissen hatte und anfing, ihm im Hinterzimmer einen zu blasen. Danach wollte sie ihn auf der Taxifahrt nach Downtown mitten auf der Park Avenue bumsen. Sie war verrückt nach ihm. Sie bot ihm Geld und alles mögliche an, denn sie kriegte monatliche Schecks aus einem Trust-Fonds. Diese süße silberblonde Biene aus Connecticut. 16 oder 17 war sie. Sie konnte nicht genug von ihm kriegen. Und er dachte schon, er müsse sie, um seine Gesundheit und Energie zu retten, in irgendein Kinderplanschbecken zurückwerfen. Doch zum Glück nahm ihre geschiedene Mutter sie plötzlich aus der Schule und sie zogen dann nach Beverly Hills.

Wenn ich mir das alles wieder anhören musste, war ich sofort stinksauer. Wen, zum Teufel, wollte diese Comicfigur zum Narren halten? Glaubte er wirklich, mich für blöd verkaufen zu wollen, mich, Seymour Krim? Mich, den attraktiven, gutsituierten, alleinstehenden Herrn, der schon fast ein Vierteljahrhundert den New Yorker Mösenacker durchgepflügt hatte? Es wäre ja mitleiderregend gewesen. Nur sprach Goodman mit solch einer Sicherheit und Selbstvertrauen, daß sich das Mitgefühl für diesen Krüppel und sein durchsichtiges Lügengewebe bei mir in Zorn und Arger verwandelte. Ich machte ihm den Mund wässrig: "Willst'e nicht mit reingehen, Mann, wir reißen 'nen paar auf?" "Ja, Klasse, mach los!"

Boris wandte sich dabei bescheiden ab, mit einem Lächeln um seinen Schnurrbart. Das war nichts für ihn, denn er kannte Goodman. Ich nicht. Er wusste, daß Sam mit seinem Stahlharten Schwanz überall rumlaufen konnte. völlig irre, Goodman nahm mich fest unter den Arm und wir bewegten uns in Richtung Schuleingang. Im letzten Moment brach ich aus. Ich hatte Angst. Seit Jahren hatte ich nicht mehr versucht, so junge Dinger anzusprechen, und dann noch auf so eine kaltschnäuzige "Glückstour". Ich wollte mir keine Abfuhr holen, noch angerempelt werden. Aber Goodman war das scheißegal. Er wollte einen Kumpel, mit dem er Mädchen aufreißen konnte, den er notfalls als Alibi benutzte, um sich besser an die Mädchen ranmachen zu können. Ich sah alles plötzlich grell beleuchtet. Hier schlug der Blitz ein. Boris war auf einer anderen Wellenlänge. Sein Schatten fiel zwischen Vorspiel und Hauptakt. Ich hatte Angst.

"Wenn ich mehr Zeit habe, Sam!" sagte ich. "Wie du willst, Krim!" sagte er. Dabei flackerten seine Killeraugen hinter seinen Brillengläsern, Ich schaute ihn heimlich an, als wir unsere Schritte wieder in Richtung Restaurant lenkten, und ich fragte mich schaudernd, was es wohl mit dieser goldenen Tussi von 16 Jahren wohl auf sich hatte, die vor seinem Geschlechtsgekröse niederkniete, als sei es ein Zepter: Konnte das wirklich alles wahr sein? Hatte Goodman seinen echt abturnenden Juden-Witzblatt-Stil überdrehen wollen? Seine innere Anspannung und strahlende Vorstellungskraft trieb ihn zu solchen Bravorösitäten. Er wollte sich mit seinen Hoden etwas schnappen. Goodman war Lichtjahre von mir entfernt. Ich hatte immer noch Komplexe wegen meiner Narbe auf der Nase und meiner starken Brillengläser, die ich mir vom Arzt verschreiben ließ. Ich fühlte mich als hoffnungsvoll Flehender. Jeder Erfolg im Bett war nichts als reiner Zufall, stammelte meine schluchzende Seele. Goodman aber bediente sich Ruckizucki aus seinem Hosenstall. Wieder hatte er mich überrumpelt, mich überspielt, sich mutiger gezeigt: Er war der bessere Mann, der an den Honig rankam, der ohne Scham war, ohne Unsicherheit, wie es mir schien. Und genau das nahm ich ihm Übel. Ich regte mich wieder auf, nicht nur, weil ich fühlte, wie sein rotgeäderter Fimmel nach jeder Muschi auf der Straße schielte, sondern weil man diese Scheißatmosphäre um ihn herum schlucken musste, die einer gewissen Realität nicht entbehrte. Ich habe ihm das natürlich nie gesagt, habe ihm nie mehr ein Kompliment gemacht. Eher will ich verdammt sein, ehe ich ihm, diesem Monster, auch nur einen Zoll ehrlichen Empfindens zugetraut hätte. Er hat mich einmal reingelegt und das setzte sich in mir fest. Das Schwein hatte mich an einer Stelle getroffen, die wehtat.

Es kursierten eine Menge Geschichten über Goodman. Im Mai 1964 ging die Shit-Show über die bühne. Komisch, im Mai! Er starb im Mai, und das ist auch mein Geburtsmonat (auch der Übersetzer ist in diesem Monat geboren, D. K.). Aber keiner wusste, am wenigsten wohl Goodman selbst, dass schon damals Kehlkopf- und Zungenkrebs an ihm nagten. Offen gestanden, ich vergoss keine Tränen beim Tode dieses Monsters, vielmehr war ich froh, als er endlich aus dem Wege war. Das Gift saß also schon tief bei ihm drin, als er sein größtes und wohl auch spektakulärstes Ding an künstlerischer Ekelhaftigkeit vom Stapel ließ. Oder war es nur ein Furz? Nein, sollte es wieder das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit um jeden Preis sein? Eine von diesen Geschichten war die, dass er einem Kunstkritiker von der "Art Voice" unter Hinweis auf seinen ausgestellten Berg an hartgewordener Scheiße beibrachte: "Das ist es, was ich von der Kunstwelt halte, nachdem ich mich 30 Jahre mit ihr beschäftigt habe." Das werde ich nie vergessen. Und auf dem Scheißberg waren noch dünne Blutfäden von aufgebrochenen Hämorrhoiden. Dann wurde er noch einen Zacken härter: "Ich habe vor, jeden weiteren Scheißhaufen nach einem bekannten New Yorker Künstler zu benennen."

Das ist unser guter alter Junge Goodman, wie er leibt und lebt. Ich glaube ihm jedes Wort von dieser Geschichte. Ich war nämlich auch auf der Vernissage, hatte allerdings mich auf dem Klo vollgedröhnt, weil ich die Schnauze voll hatte. Dazu gibt 's noch eine andere Geschichte (da gibt 's sogar Zeugen für): Ein berühmter notorischer Popsammler verhandelte schon mit dem Sekretär über einen Ankauf, und Sam war irre geil drauf, angekauft zu werden. Da sagte Sam einfach: "Ich scheiß auf Dich, wirklich!" Nett, nicht wahr? Das war genauso zwanghaft selbstzerstörerisch wie alles andere an diesem menschlichen Wrack, bis auf die wenigen Ausnahmefälle, in denen er uns bekanntlich überlegen war. Aber davon wollen wir jetzt nicht reden. Ein paar Peinlichkeiten pro Abend genügen. Einverstanden? Dann gibt es da noch einige Anti-Goodman-Geschichten anlässlich dieser Ausstellung, weniger dramatisch, weniger schlagkräftig. Die beste erzählte mir Tom Wolfe. Er hatte die Kritik über die Letzte Scheiße für den seligen HERALD Tribüne geschrieben. Es gelang ihm aber nicht, dass sie gedruckt wurde. Und so ist überhaupt nichts über diese Show erschienen, obwohl die Scheiße subtil und durchdringend war. Das muss ich zugeben. Also nach dem im allgemeinen zuverlässigen Wolfe, der als Kind immer ein "fastball pitcher" für die Yankees (ein Baseball-Klub, d.U.) werden wollte und der bei all dem Prunkgehabe immer teuflisch genau ist, also nach seiner Erzählung hatte sich Sam geärgert, weil Brian O'Doherty - der damals seine erfrischenden Kunstreportagen für die TIMES schrieb - angesichts der Ausstellung sich total unbetroffen zeigte. Er verwahrte sich dagegen, in irgendeiner Art und Weise geschockt zu sein. Brian war Doktor der Medizin, bevor er in die Kunst einstieg. Er sah die ganze diarrhöse Explosion da auf Gertrudes Galeriefußboden von der medizinischen Seite her. Goodman war arg verdrossen, rannte Übelgelaunt herum - so erzählte Wolfe -, obwohl O'Doherty klipp und klar zu seinen Gunsten geschrieben hatte. So was finde ich super.

Ich habe Goodman seit der Shit-Show nicht mehr persönlich gesehen. Es war aber keine Überraschung für mich, dann zu hören, dass all die Scheiße wie ein Bumerang in seinem Kussmaul gelandet ist. Keine Verkäufe, kein Geld und noch mehr Feinde. Die reinste Hiobsbotschaft. überheblich und großmäulig wie er war, hatte er sich selbst alle Aufmerksamkeit und das dicke Geld versaut, wonach er doch so durstig gierte. Anscheinend landete er wieder im billigsten Viertel des "Village" . Er verfluchte die de Koonings und Warhols und schlampte in dem verlogenen Viertel rum, bis ihn der Krebs einholte. Boris behauptete sogar, dass Sam wirklich bis zum Schluss in seiner zwanghaften Mösenbesessenheit mehr herumgebumst hat als je zuvor, obwohl er am Ende zu schwach dazu war. - Konsequent bist Du ja, oh ja, Du elender Schurke! Boris erzählte mir auch (ich habe gelernt, seiner knochenharten Objektivität zu vertrauen, ohne Missgunst, wenn es darauf ankam), dass Goodman sogar diese modesten michelangeloesken Allüren zur Schau stellte, um zu zeigen, welch großer Meister er sei, und sich brüstete, den "langen Strich" erfunden zu haben. In seinen AbEx-Zeiten (abstrakt-expressionistischen Zeiten, d.U.) benutzte er tatsächlich einen Hockeyschläger, um die Farbe auf die Leinwand zu bringen. Einiges von seiner Prahlerei war allerdings beunruhigend wahr. "Ich kann die Namen derer nennen, die den "langen Strich" von ihm gelernt haben ..." Ach Boris, Boris, ich weiß ja, ich brauche es Dir nicht zu sagen, wenn einer so Ätzend war wie Goodman, dann musste er ja soviel Zunder im Blut gehabt haben, um mich so zu nerven, wie er es getan hat. Und wenn Du mir sagst, dass "die Juden in der New Yorker Kunstszene ihn nicht mochten, weil er sie zu sehr daran erinnerte, wovon sie loskommen wollten, nämlich von dem jüdischen Kleinkrämertum , das jeder ,Ästhetischen Schönheit' entbehrte", dann, Baby, dann ist das das Understatement des Jahrhunderts. Ich weiß genau, was Du da mit meinen sorgsam gehüteten KleinMädchen-Gefühlen anstellst. Was für ein Rückschlag Du doch warst, Goodman, was für ein Schandfleck auf dem poppigen Glamourbild von Manhattan, was für ein Tier Du doch warst. Oh. Und doch, Boris, stimmte es nicht doch, dass ihr alle, die ihr diese ganze "Bewegung" angeheizt habt - Du, Goodman und Stan Fisher mit euren "Doom"- ("Gloom"-), "Vulgär"-, "NO"- und "Shit-Ausstellungen" -, dass ihr euch als Menschen und Künstler nicht von diesem elenden und wirklich endlosen Juden-Business des 20. Jahrhunderts lösen konntet?

Mit anderen Worten gesagt: Boris Lurie kam von der russischen Grenze und hatte während des Krieges wie jeder andere Böse Jude in einem Konzentrationslager gedient; Goodman war ein hebräischer Außenseiter, diente in der strammen kanadischen Armee, und bekam, als die Kämpfe tobten, ein bequemes Kämmerlein bei der Filmabteilung. Hinterher machte er sich Vorwürfe, nicht nach Europa gegangen zu sein, um die Verbrennungsöfen abzureißen, in denen er hätte kochen müssen, wenn es die Geographie nicht so gut mit ihm gemeint hätte. Fisher war der einzige von den Dreien, der in Amerika geboren war. Ihn widerten die Lustbarkeiten des American-Way-Of-Life genauso an wie den beiden anderen. Ich erinnere mich noch an eine Geschichte, die er mir einmal erzählte: Ihm schenkte kurz vor oder nach dem Zusammenbruch ein deutscher Infanterist in Deutschland ein Paar warme Stiefel, und zwar ihm dem begabten Judenbengel aus Brooklyn. Das war eine Liebesgabe des Verfolgers an sein Opfer, oder nach neuester Version, eine Liebesgabe des Opfers an seinen Verfolger. Fisher erzählte mir das mit sanfter Stimme und einem zärtlichen Ausdruck in den Augen ... Bilde ich mir das nur ein? Fisher hat mir das bestimmt so erzählt, denn er war von den Dreien sich am wenigsten seines Judentums bewusst. Er kam vielmehr dem typischen doofen Amerikaner am nächsten. Und doch schmissen sie alle in ihrer drastischen, beinahe hysterischen Art und Weise ihre Arbeiten als Stinkbomben auf die amerikanische Lebensweise. Einer Lebensweise, die sich auf die Kriegserfahrung in Europa stützte, mit verkohlten Juden an der Basis der Pyramide, auf deren Spitze Onkel Sam zuletzt Boogie-Woogie vor der ganzen Welt tanzte. Mir wird plötzlich klar, daß sie wutentbrannte jüdische Kriegskünstler waren, die ihren Jehovianismus gegen den Moloch Amerika zu Felde führten. Deshalb diese Collagen von Massengräbern, auf den der Pin-up-Busen von Betty Grable über die Skelette hopste. - Kein Wunder, dass Goodman seinen Schwanz nicht von seiner Schädeldecke und sein Gefühl einer heiligen Mission nicht von den Mösen trennen konnte.

Er kämpfte einen ständigen vergeblichen und verlorenen Fight gegen Sammler, gegen Galerien, gegen die verhassten "großen Namen" und gegen sich selbst. Und man denke nur daran, wie mir, dem Korrespondenten, zumute war, wenn er auf dieses Land schiss, das mich trotz der schrecklichen Ereignisse zu dem gemacht hat, was ich jetzt bin. Findet ihr das schrecklich? Ist es das, was ihr meint? Dieses Land, das untrennbar mit meinem Leben und meiner Sicherheit verbunden ist? Er wollte das Geld und die Mösen dieses Landes, und dann noch drauf scheißen - ja, ich hob dieses Wort allmählich satt -, während er sich dauernd den Arsch mit den kleinen billigen Vorzügen dieses Landes abwischte. Ja, denkt darüber nach, wenn ihr wollt, was für Gefühle ich für meinen Judenbruder, Künstlerbruder und Waffenbruder hegte, wenn ich so sagen darf. Es war die gleiche unerfüllbare Vision von der Wahrheit und der Gerechtigkeit, Amen. Ich verachtete und bewunderte ihn zugleich. Das ist die Etikette unserer Zeit. Bewunderte diese menschliche Laus, weiß, dass sein gescheites wildes Werk nie vollendet worden ist. (Wartet nur auf die große Retrospektive: Goodmans "Saujuden-Show"; das hätte ihm gefallen, oder vielleicht nicht?) Ja, ich weiß, dass er eines Tages wieder auftauchen wird in dieser unehrlichen Welt der künstlerischen Mannequins und männlichen Photomodelle. Ja, er wird einen zynischen Städten wie mich mit seinem essigsauren Lohn benetzen, der aus seinem gierigen Gedächtnis trieft. Sie wachsen nicht, diese grotesken Existenzen, sie halten durch. Wohingegen die Sanften im leeren Raum verdorren und verkrüppelt und missgestaltet dahin siechen. ("Stehst du nicht auf Verunstaltung?" fragte ein Bop-Musiker seinen peinlich berührten Kumpel, als er ihm seine bucklige Mieze vorstellte.) Teufels-Baby. für mich war Sam so wie eine böse Mutter oder wie paranoides jüdisches Phantom, das die Alpträume von Adolf Hitler verbreitete. Aber denkt daran, ich sah ihn ja nur von Außen. Aber in meinem Innersten passte er sich sogar meinem gespannten Verhältnis an, wirklich. "Schüchtern, in der Öffentlichkeit leicht stotternd, bescheiden im Umgang mit seinen Freunden." Auch das habe ich zu hören bekommen, als ich widerwillig Recherchen über ihn anstellte, um "das Bild abzurunden", um den ganzen Menschen zu zeigen, wie die Zeitungsleute es so schön sagen, um von dieser schrecklichen Subjektivität runterzukommen, vor der ich euch schon zu Anfang gewarnt habe. Jedoch bedeutete für mich diese "Schüchternheit" nichts als eine Maske, hinter der sich Überlegenheit, Arroganz und Rotzigkeit verbarg wie so oft hinter einer gewissen Art an sogenannter Schüchternheit. Wenn ich mit Goodman zusammen gewesen war, verlangte es mich hinterher immer nach einer metaphysischen Dusche, gut und heiß mit strenger schwarzer Teerseife. Und trotzdem konnte ich diesen sarkastischen Meckerer und Spötter nicht aus meinen Adern waschen. Es ging nicht. Jetzt will ich auch nicht mehr. Jetzt bleibt er ein Teil von mir, denn er war schärfer, würziger und authentischer als ich, obwohl ich niemals meinen geheimen Neid so zeigte, wie Goodman es tat. Man hat ja schließlich auch noch seinen eigenen Stolz, oder nicht? Scheißt auf Originale, wenn sie einen nur schrecklich in Verlegenheit bringen wollen, solange sie leben, oder nicht? Ich meine, Sam hat seine ständigen Misserfolge verdient, und es ist besser für ihn, dass er jetzt tot ist, damit wir ihn in der Erinnerung besser "schätzen" können, ohne dabei unsere Nase zuhalten und unsere Augen abwenden zu müssen. Wir werden nicht mehr aufgeputscht und niedergeschmettert von ihm. Wir können ohne Peinlichkeiten weiterhin unserem noblen Business nachgehen, ohne auf diese oder jene Art ermordet zu werden. Stimmt 's? Los, seid ehrlich! Gebt 's zu! Wer will schon einen grinsenden, unzerbrechlichen, unerträglichen, ordinären, häuslichen, selbstgefälligen, wahnsinnigen, berauschten, beißend kritischen...? Wer braucht ihn?

Ja, nur die Zeit holt uns ein und geht an uns vorbei. Und die Toten, allerdings nur einige, werden die Lebenden überholen und deren Eingeweide mit einem kräftigen Appetit fressen. Sie brüllen schon vom Jenseits herüber. Verlierer können mit den Jahren Gewinner werden, denn die Parole heißt: Der Gewinner bekommt alles, entweder tot oder lebendig. Lasst es euch gesagt sein! Und erkennet euch selbst als armselige kleine Fürze im Vergleich zur wirklichen Scheiße in dieser Welt. - Hau ab, Goodman, hör auf zu lauschen und Dich zu brüsten, wo immer Du bist, Du unwürdiger Anti-Held, Du wahrhaftiger Stinker einer Epoche!

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