Nach Aussage des Direktors des Museum Morsbroich in Leverkusen, Gerhard Finckh, wirken politische Ansätze von Künstlern heute nicht mehr in die Gesellschaft hinein. Statt dessen würden diese sofort vom Kunstmarkt aufgesogen und von privaten Sammlungen absorbiert. Dies sei in den 1960er und 1970er Jahren, also zur Zeit des Fluxus und Happenings in Deutschland noch anders gewesen. Damals konnte man mit politisch inspirierter Kunst noch die Öffentlichkeit bewegen. Nach einem Besuch bei dem Hamburger Sammler Harald Falckenberg beschloss Finckh, die vier Positionen, die den Grundstock der Falckenberg’schen Sammlung bilden - Erró, Fahlström, Köpcke und Lebel - zusammen in einer Ausstellung zu präsentieren. Gemeinsam ist den Vier der Rückbezug und die Antwort auf Kunstgeschichte, die mit Bezügen zur Lebenssituation der Nachkriegszeit gepaart werden.
Unter dem Titel „Art and Politics“ beginnt die Schau im Erdgeschoss mit Arbeiten des 1936 geborenen Jean-Jacques Lebel. Jean-Jacques war der Sohn Robert Lebels, der nicht zuletzt 1959 seine Biografie Marcel Duchamps schrieb. Lebel knüpft daher in seinem Schaffen an Duchamps Wortspiele an, wie auch an die Strukturen der Surrealisten. Im ersten Raum hängt der querformatige Collagedruck „Dollar Collage“ von 1985 nah bei den auf einem Blatt zusammengefassten, eigenen ironisierenden Entwürfen Lebels von Geldscheinen, wie dem „Le Dollar pour le Vietnam“. Eine messingfarben gefasste Keramikbüste Lenins wird von einem Hot Dog bekrönt - ein Form- und Wortspiel, das sich ebenso im Titel „Pur porc, Lenine“ manifestiert. Die Objektcollage „Portrait de Nietzsche“ vereint eine französischsprachige Ausgabe von „Jenseits von Gut und Böse“ des Frauenverächters Nietzsche - mit einem rostigen Nagel durch das Coverfoto Nietzsches fixiert - nicht zuletzt mit Pin-up Girls.
Im zweiten Raum sind an die Surrealisten gemahnende, aus organischen Strukturen gefügte Zeichnungen zu sehen. Ausgeführt hat sie Lebel als eine Hommage an das Rauschmittel Meskalin und unter dessen berauschender Wirkung. Breton und Apollinaire ist die Collage „André Breton et Guillaume Apollinaire (rêve du 30 juin 1956)“ gewidmet: Das Zeitungsfoto eines Wolfes, kombiniert mit den Worten „La vie est courte“ trifft auf zeichnerische Elemente. Im dritten Raum ist neben einem Happeningfragment der Hommage an de Sades „120 Tage von Sodom“ in Form von violett getönten Fingerabdrücken auf orangefarbenem Millimeterpapier der Plan für den Ablauf des Happenings zu sehen: „Kurz, mir schwebte eine Meditation über diese 120 Tage vor, wobei eine Minute einen Tag repräsentieren sollte“, so Lebel. Dann treten Francis Picabia und Arthur Craven als Miniaturplastiken im Modell eines Boxrings auf rosa Filz zum Kampf an.
Nach der Festnahme während seiner „120 minutes dédiées au divin Marquis“ äußerte Lebel: „Wenn ein Minister irgendeiner Regierung mit runter gelassenen Hosen erwischt wird, nennen sie das ein Happening.“ Aufgrund dieser zunehmenden Bedeutungslosigkeit des Begriffs Happening, das zunächst ein irritierendes, befremdliches Ereignis beschreiben sollte, entschloss er sich, keine weiteren Veranstaltungen dieser Art durchzuführen. Denn im Gegensatz zu den postpubertären ironischen Aktionen eines Jonathan Meese oder Paul McCarthy geschahen die Performances des Fluxus aus erlebten gesellschaftlichen Situationen heraus und wollte Stellungen zu gesellschaftlichen Entwicklungen auf die bleierne Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, aktuellen Kriegen, wie in Vietnam oder Algerien, zur Ermordung Kennedys und Martin Luther Kings, zur Frauenbewegung oder zum Kalten Krieges beziehen.
So reagierte der im zweiten Geschoss präsentierte Erró, den Lebel 1955 kennen lernte, 1974 mit collageartigen Malereien auf die politische Blockbildung in Folge des Kalten Krieges: Pin-up Girls treffen auf Politgrössen, kunstgeschichtliche Zitate wie die Akte Cranachs und Modiglianis säumen eine Leninfahne, Jackson Pollock tritt als in Bacon-Manier gemalter Dinosaurier beim Anfertigen seiner Drippings auf. Auch Erró war vom Surrealismus beeinflusst, schätzte die Malerei von Roberto Matta und zitierte die Propagandawerte der Warenwelt in seinen Bildern: „Ich verstehe mich wie eine Art Chronist, der jedes Bild in der Welt sammelt, und es ist meine Aufgabe, eine Synthese davon herzustellen.“ Diese Synthese setzte Erró in dem Film „Grimaces“, der 1967 uraufgeführt wurde, fort. Er bat dafür die mit ihm befreundeten Künstler, grimassierend ihren Namen zu nennen. So verschiedene Persönlichkeiten wie Youngerman, Stella, Spoerri, Wesselmann, Copley, Man Ray, Warhol, Pistoletto, Fahlström und viele mehr sind in dieser gesellschaftlich unkonventionellen, den Bürger verschreckenden Geste vereint.
Den 1928 geborenen Eufonie Fahlström und Erró verband seit 1960 eine Freundschaft. Seine Arbeiten sind im linken Flügel des ersten Geschosses zu sehen, so seine 1976 entstandenen „Elements from Masses“, in dem die Silhouette eines Gorillas, eine schussbereite Comicfigur und geometrische Formen auf schwarzem Metallgrund durch Magnete fixiert sind. In dem „Modell for Meatball Curtain“ von 1970 sind diese ausgeschnittenen, mit Siebdruck bedruckten Metallplatten durch Magnete aufgerichtet und allansichtig arrangiert. „ESSO“ und „LSD“ stehen sich im nächsten Raum als Plastikschilder aus dem Jahr 1967 gegenüber.
Dann reihen sich humorvoll comichaft verzerrt die kleinen, blau kolorierten Köpfe der „Exercise (Nixon)“ aus dem Jahr 1971 über ein Papier. Die Farbsiebdrucke der Column-Serie sind organische Muster, die sich mit Texten politischen Inhaltes Füllen, wie „Saigon troops - 41.000 killed - 4.000 missing - 44.000 wounded“. Strukturell dem Allover Pollocks gar nicht so fern, ist Fahlström jedoch das Einbringen des Lebens in die Kunst ein Anliegen, das ihn entscheidend von dem Ansatz des abstrakten Expressionismus unterscheidet. Seine Collagen verbinden Kunst und Leben, wie der Farbsiebdruck „Sixteen Elements from Chile 1“, auf dem sich bunte Comicfragmente als lose organische Struktur über einen sienafarbenen Grund verteilen.
Die Collage beziehungsweise die collageartige Struktur der Bilder finden sich auch bei dem letzten der vier Polit-Künstler, dem ebenfalls 1928 geborenen Arthur Köpcke: Die „Reading-Work-Pieces“ bestehen aus einer Reihung von Bildzitaten, die mit Lesehilfen dieser Zeichen oder Handlungsanweisungen versehen sind. So fordert das „Reading-Work-Piece (Piece No. 116: f. E.: on a venetian blind…)” von 1965 den Betrachter unter anderem dazu auf, 20 Zigaretten auf einmal zu rauchen und 20 Bücher gleichzeitig zu lesen. Zugleich soll man freundlich sein oder eben auch nicht. Die Arbeit „How to paint a door“ dagegen scheint eindeutig eine Europäische Variante der Pop Art zu sein. Das Rollbild „Notes/Noten“ ist ein spielerischer Umgang mit der Zeit: Bis ins Unendliche ist dort ein Ton fortzusetzen, zu wiederholen.
Die Ausstellung „Art and Politics — Erró, Fahlström, Köpcke, Lebel“ ist bis zum 30. April zu sehen. Geöffnet ist Täglich außer montags von 11 bis 17 Uhr, dienstags zusätzlich bis 21 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 3 Euro, ermäßigt 2 Euro. Der Katalog zur Ausstellung kostet 20 Euro. Im Anschluss wird die Schau im Museum für bildende Kunst in Leipzig, sowie in Graz präsentiert.
Kontakt: Museum Morsbroich, Gustav-Heinemann-Straße 80, D-51377 Leverkusen
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